Prof. Dr. Dietmar Fischer, Universitätsklinikum Ulm
Forschungsprojekt:
Strategien zur Stimulation des axonalen Regenerationsprogramms im Zentralen Nervensystem

Die DSQ Deutsche Stiftung Querschnittlähmung hat am 14.10.2009 in Leipzig den Forschungs- Förderpreis 2009 verliehen.

 

Prof. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Schirmherr der diesjährigen Forschungs- Förderpreis Verleihung, überreichte den mit € 15.000 dotierten Forschungs-Förderpreis zusammen mit Prof. Dr. Hans Jürgen Gerner, Vorsitzender des Stiftungsrates und Prof. Albert C. Ludolph, Ulm, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der DSQ, an Prof. Dr. Dietmar Fischer von der Universität Ulm. Damit wird das Forschungsprojekt: "Neue Strategien zur Stimulation des axonalen Regenerationsprogramms im Zentralen Nervensystem" ausgezeichnet und unterstützt. Am Beispiel des Sehnerves erforscht Prof. Fischer und sein Team, wie bestimmte Nervenzellen in einen regenerativen Zustand überführt und damit zu einem Wachstum motiviert werden können.

Seit mehr als 10 Jahre vergibt die DSQ den Forschungs-Förderpreis. Der Preis unterstützt sowohl den Preisträger für die Fortführung seiner wissenschaftlichen Arbeit, wie auch in besonderem Maße das Forschungsprojekt selbst. Damit hat der DSQ Forschungs-Förderpreis eine besondere Bedeutung bei der Bekämpfung der Querschnittlähmung erlangt.

"Ich begrüße ausdrücklich den breiten Ansatz der Arbeit der Deutschen Stiftung Querschnittlähmung" so Ministerpräsident Prof. Böhmer, "die bereits mit der Prävention einsetzt. Die Stiftung geht auf junge Leute zu und klärt darüber auf, welche Folgen Selbstüberschätzung in Sport und Freizeit haben kann, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist."

Preisverleihung

(v.l.n.r. Prof.Dr. Dietmar Fischer, Prof. Dr. Hans Jürgen Gerner, Prof. Dr. Böhmer) Foto: Armin Kühne

Erstmals wurde auch ein Preis für besonderes soziales Engagement verliehen. Damit werden Personen ausgezeichnet, die sich in besonderem Maße für die Belange von Querschnittgelähmten engagiert haben. Die beiden Hockey-Bundesliga-Spielerinnen Cora Eilhardt und Britta Billmann erhielten diesen Preis vom Ministerpräsident Prof. Dr. Böhmer und Prof. Dr. Gerner,  für ihr herausragendes Engagement für ihre Sportkameradin Michaela Schlett, die seit einem Autounfall querschnittgelähmt ist.

 

Preisverleihung

(v.l.n.r. Cora Eilhardt, Britta Billmann, Michaela Schlett mit Tochter Noa- Sophie) Foto: Armin Kühne

 

Beschreibung Forschungsprojekt:

Bei Verletzungen des zentralen Nervensystems, wozu auch das Rückenmark zählt, können zentrale Leitungsbahnen geschädigt werden. Dadurch wird die Reizweiterleitung vom Gehirn zu den peripheren Zielgebieten wie z. B. Muskeln oder umgekehrt von Sinnesreizen hin zum Gehirn unterbrochen. Die Reizweiterleitung im Rückenmark erfolgt über lange Ausläufer von Nervenzellen, den sogenannten Axonen, die bei einer Verletzung durchtrennt werden. Da diese Axone unter normalen Umständen nicht nachwachsen können, führen Schädigungen des Rückenmarks oft zu schwerwiegenden und irreparablen Funktionsverlusten wie Lähmungen und Sensibilitätsverlust, die für eine Querschnittslähmung typisch sind.

Ähnlich wie im Rückenmark sind auch die Axone in Sehnerven nach Verletzungen nicht mehr selbständig regenerationsfähig, was bei ausgeprägten Schädigungen zwangsläufig zu einer irreversiblen Erblindung führt. Da die Ursachen für diese Nicht-Regenerierbarkeit von Nervenzellen im Rückenmark und Sehnerven sehr ähnlich sind, eignet sich  der Sehnerv und die in der Netzhaut befindlichen Nervenzellen hervorragend für die Untersuchung der Mechanismen, die diesem Sachverhalt zugrunde liegen. Aufgrund seines einfacheren anatomischen Aufbaus und guten chirurgischen Zugänglichkeit bietet sich der Sehnerv im ganz besonderen Maße für die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien zur Stimulation der axonalen Regeneration im Zentralen Nervensystem an.

Am Sehnerv konnte Prof. Fischer erstmals zeigen, dass retinale Nervenzellen (Retinale Ganglienzellen) durch die Auslösung spezifischer entzündlicher Prozesse wie diese zum Beispiel durch die Verletzung der Augenlinse ausgelöst werden, in einen  regenerativen Zustand überführt werden können. Dadurch können Retinale Ganglienzellen  erneut Axone über weite Strecken in den verletzten Sehnerven regenerieren. Die Regenerationsfähigkeit lässt sich in Kombination mit weiteren, von Prof. Fischer entwickelten Ansätzen, vor allem der Gentherapie, nochmals deutlich steigern. In den vergangen Jahren ist es nun der Arbeitsgruppe von Prof. Fischer gelungen, die Mechanismen der Stimulation von zentralen Neuronen durch „entzündliche Prozesse“ zu entschlüsseln. Prof. Fischer konnte zeigen, dass bei einer „entzündlichen Stimulation“ bestimmte Zellen, so genannte Astrozyten, die sich in Nachbarschaft zu den Nervenzellen befinden, kontinuierlich  Proteine freisetzen.
Diese Proteine  interagieren  direkt mit den geschädigten Nervenzellen in der Netzhaut und schalten in diesen bestimmte Signalwege an.

Dadurch wird ein axonales Regenerationsprogramm in den Neuronen aktiviert und diese können als Folge Axone nachwachsen lassen. Die Identifizierung dieser Proteine  als „Initiatoren“ der regenerations stimulierenden Effekte
nach „entzündlicher Stimulation“ und die Ergründung der zugrunde liegenden Mechanismen  bietet nun die Möglichkeit, die axonale Regeneration von Nervenzellen weiter zu optimieren. Darüber hinaus ist dadurch die
Voraussetzung gegeben, die am Sehnerven entwickelten Ansätze auf Nervenzellen des Rückenmarks zu übertragen und so neue therapeutische Strategien zur Regeneration des Rückenmarks nach Verletzungen zu entwickeln.

 

Fachliche Projektbeschreibung

Neurone des Zentralen Nervensystems (ZNS) können im Gegensatz zu denen des Peripheren Nervensystems
unter normalen Umständen verletzte Axone nicht regenerieren. Dies hat bei Verletzungen von zentralen Leitungsbahnen wie diese im Gehirn, Rückenmark oder auch im Sehnerven verlaufen, dramatische klinische Konsequenzen wie die Querschnittslähmung bei  Verletzungen des Rückenmarks oder der irreversible Verlust des Sehens bei Sehnervschädigung.
Retinale Ganglienzellen (RGZ) sind typische Projektionsneurone des ZNS  und zeigen wie andere ZNS-Neurone keine axonale Regeneration in den verletzen Sehnerven. Herr Fischer hat zeigen können, dass RGZ wieder in einen aktiven, regenerativen Zustand transformiert werden können, wenn inflammatorische Prozesse im Auge induziert werden.

In diesem regenerativen Zustand überleben RGZ die Verletzung und regenerieren die Axone in den geschädigten Sehnerven. Insbesondere die Kombination dieser Effekte mit den von Herrn Fischer neuartig etablierten gentherapeutischen Ansätzen zur Überwindung hemmender Signalwege, die durch das Myelin oder an der sich ausbildenden Narbe befindlichen Proteinen aktiviert werden, führt zu einer deutlichen Regenerationssteigerung.

In den vergangen Jahren hat die Arbeitsgruppe um Herrn Fischer die zugrunde liegenden Mechanismen des Phänomens „inflammatorische Stimulation“ entschlüsselt, was eine Voraussetzung für eine Entwicklung von Medikamenten zur Regenerationsstimulation  im Sehnerven aber vor allem auch für eine Übertragung dieser Ansätze auf andere ZNS-Neurone, die zum Beispiel auch bei einer Querschnittslähmung betroffen sind, darstellt. Herr Fischer konnte zeigen, dass bei einer „inflammatorischen Stimulation“ Astrozyten/Müllerzellen aktiviert werden, die als Folge kontinuierlich die Zytokine LIF und CNTF freisetzen und so über die Aktivierung der JAK/STAT3- und PI3K/Akt Signalwege in den zentralen Nervenzellen, zur Regeneration führen.

Die Identifizierung dieser Proteine/Substanzen zur Stimulation der axonalen Regeneration im visuellen System und der zugrunde liegenden Mechanismen bieten nun die Möglichkeit, diese Ansätze auch in Rückenmarksläsionsmodellen zu testen, mit dem Ziel neue therapeutische Strategien zur Reparatur des Rückenmarks zu ermöglichen.
 

Prof. Dr. Dietmar Fischer
Universitätsklinikum Ulm, Experiementelle Neurologie
Albert-Einstein-Allee 11, 89081 Ulm
Tel.: 0731 500 63048, FAX: 0731 500 63049
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